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“Schweizer Tabakindustrie begeht in Afrika organisierten Völkermord”

Schwarzes Kind, das eine Zigarette raucht
Die Weltgesundheits-Organisation WHO schlägt Alarm: bis 2030 wird sich in Afrika die Zahl der Toten infolge Tabakkonsum verdoppeln. Feisal Omar/Reuters

Zigaretten aus Schweizer Produktion, die in Afrika verkauft werden, enthalten rund doppelt so viele Giftstoffe wie jene, die in der Schweiz geraucht werden. Die Senegalesische Liga gegen Tabak fordert nun die afrikanischen Länder auf, die chemische Zusammensetzung der Import-Zigaretten zu kontrollieren. Amadou Moustapha Gaye, der Präsident der NGO, wirft den Schweizer Behörden Laxheit vor.

Die Organisation aus Senegal reagiert damit auf den Skandal um überdosierte Schweizer Zigaretten, die in Afrika verkauft werden. Enthüllt hatte ihn die französische Journalistin Marie Maurisse.

Rauchen ist ein tödliches Risiko für die Gesundheit. In Afrika ist dieses Risiko grösser als in Europa. Recherchen von Maurisse, Gewinnerin des Public Eye Investigation Award, zeigen, dass Schweizer Unternehmen Zigaretten herstellen, die bewusst süchtig machen. Die Glimmstengel, die für den afrikanischen Markt hergestellt werden, sind also schädlicher als die für den Schweizer Markt.

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Ein Mann raucht eine Zigarette.

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Heisse Luft und schwarzer Rauch

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz exportiert fast gleich viele Zigaretten wie Schokolade. Doch die Glimmstängel für Afrika sind giftiger als die für den europäischen Markt.

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Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das Zigaretten von “zweierlei Giftklassen” herstellt. Die EU verbietet eine solche Unterscheidung zwischen Zigaretten für den Export und den Binnenmarkt. Der Präsident der Senegalesischen Tabakliga Amadou Moustapha Gaye verurteilt die “monströsen und tödlichen” Strategien der in der Schweiz ansässigen Tabakmultis.

swissinfo.ch: Wie reagieren Sie auf die Enthüllung der Schweizer NGO Public Eye über die Doppelmoral der Tabakgiganten?

Amadou Moustapha Gaye: Die Tabakindustrie begeht hier einen organisierten Völkermord. Unsere Länder sind bereits sehr schwach, sie haben keine Mittel, unsere Bevölkerung kann nicht medizinisch behandelt werden. 

Wenn wir nun auch noch Zigaretten aus der Schweiz erhalten, deren Schädlichkeit die Normen überschreitet, ist das sehr beunruhigend. Als zivilgesellschaftlicher Akteur haben wir beschlossen, zum Schutz der afrikanischen Bevölkerung zu reagieren. Es handelt sich um ein Problem der öffentlichen Gesundheit, ein wichtiges Thema.

swissinfo.ch: Was können die betroffenen afrikanischen Länder tun, um diese Praxis zu bekämpfen?

A.M.G.: Die Tabakindustrie muss uns die Zusammensetzung dieser Zigaretten offen legen. Die afrikanischen Länder müssen zusammenarbeiten, um die Kontrolle der importierten Produkte, insbesondere des Tabaks, zu verstärken. Immerhin sterben weltweit jedes Jahr über sieben Millionen Menschen am Tabakkonsum. 

Burkina Faso ist das einzige Land Afrikas mit einem Labor, das importierte Zigaretten systematisch analysiert. Wir haben in einem Schreiben an die senegalesische Regierung gefordert, dass sie solche Kontrollen einführt. Die Gesundheit der Bevölkerung steht auf dem Spiel .

swissinfo.ch: In einer Erklärung Externer Linkwerfen Sie der Schweiz “schuldhafte Nachlässigkeit” vor. Was erwarten Sie konkret von der Schweiz?

A.M.G.: Wir richten keine direkten Vorwürfe an die Schweizer Regierung. Wir verstehen jedoch eines nicht: Wie ist es möglich, dass ein so verantwortungsbewusster Staat wie die Schweiz es zulässt, dass Unternehmen, die von seinem Territorium aus operieren, so schädliche Zigaretten mit so gefährlichen Schadstoff-Konzentrationen für die Menschen herstellt.

Aus moralischer Sicht sollte der Staat aufmerksamer sein und diese Produkte prüfen, bevor sie in anderen Ländern verkauft werden dürfen. Wir werden uns mit Fragen an die Schweizer Botschaft in Senegal wenden.

swissinfo.ch: Wie haben die Menschen in Senegal reagiert, als sie erfuhren, dass in Casablanca Zigaretten der Marke Camel Light schädlicher sind als die normalen Camel Filter in Lausanne?

A.M.G.: Die Tabakkonsumenten waren schockiert und verängstigt zu erfahren, dass die in der Schweiz hergestellten Zigaretten bei uns doppelt so giftig sind wie die Zigaretten für die Schweiz. Wir haben bereits genügend Probleme mit dem Tabakkonsum. 

Wenn jetzt überdosierte Zigaretten hinzukommen, wird die Situation noch schlimmer. Wir haben eine Kampagne gestartet, um die Bevölkerung darüber zu informieren.

swissinfo.ch: Kann das senegalesische Recht zur Bekämpfung des Rauchens verbessert werden?

A.M.G.: Senegal hat bereits eines der besten Anti-Tabak-Gesetze Afrikas. Seit 2017 werden auf beiden Seiten von Zigarettenpackungen Gesundheitswarnungen in Form von Bildern angebracht. Infolgedessen sind sich Raucherinnen und Raucher in Senegal der Tatsache bewusst, dass Tabak tödlich ist. 

In einer Gesellschaft, in der viele Menschen den Inhalt nicht verstehen oder manchmal nicht lesen können, ist ein Bild wirksamer als Text. Wir haben auch das Rauchen in öffentlichen Räumen sowie die Tabakwerbung verboten. 

Kampf dem Tabak in Senegal

Senegal erliess bereits 1981 ein Verbot für Rauchen in öffentlichen Räumen sowie für Tabakwerbung. Doch das Gesetz zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Es wurde 1985 sogar so geändert, so dass Rauchen in öffentlichen Räumen wieder erlaubt war. Nur das Werbeverbot für Tabak blieb.  

2004 ratifizierte das Land das Rahmenabkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Tabakkontrolle. 2008 war die Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung eines Gesetzes zur Regelung von Produktion, Vertrieb und Konsum von Tabak involviert. Das Gesetz trat im März 2014 in Kraft.

Darin sind folgende fünf Punkte verankert: 1) Verbot jeglicher Einmischung der Tabakindustrie in die Gesundheitspolitik, 2) Verbot von direkter oder indirekter Werbung, Verkaufsförderung oder Sponsoring, 3) die Darstellung von Gesundheitswarnungen durch Farbfotos auf den Zigarettenpackungen, 4) das vollständige Rauchverbot in allen öffentlichen Räumen und 5) die Einführung einer hohen Besteuerung (Quelle: L’Afrique des idéesExterner Link).

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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