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Schweizer “Feierabend-Knecht” in Brandenburg

Sonja und Dieter Moor: Als Biobauern stellen sie keine Sinnfragen mehr. swissinfo.ch

Der Schweizer Kulturjournalist Dieter Moor betreibt in Brandenburg mit seiner Frau einen Bio-Bauernhof. Über den Alltag zwischen Kuhstall und Fernsehkamera und das Leben im äussersten Nordosten Deutschlands hat der TV-Mann ein Buch geschrieben.

Am Anfang haben sie den Kopf geschüttelt über den Neuen im Dorf. Niemand konnte verstehen, warum Dieter Moor seiner Heimat den Rücken gekehrt hatte.

Die Schweiz sei doch wunderschön – wie könne man da nach Brandenburg ziehen und in einer gottverlassenen Ecke einen herunter gekommenen Bauernhof übernehmen?

“Unsere neuen Nachbarn waren fassungslos”, erzählt Dieter Moor. “Als hätten meine Frau und ich einen Lottogewinn ausgeschlagen.”

Über sein kantiges Gesicht zieht ein Grinsen; Moor krault den grossen schwarzen Hund, der neben ihm liegt, und zündet sich eine Zigarette an.

In der Wohnküche riecht es nach Kaffee. Bald sieben Jahre wohnen der Schweizer Kulturjournalist Dieter Moor und seine österreichische Frau Sonja nun schon in Hirschfelde, einem Dorf mit 230 Einwohnern, rund 50 Kilometer nordöstlich von Berlin.

Bereut haben sie den Schritt keine Sekunde. “Die Schweiz lebt von ihrem Schokoladenpapier-Image”, sagt Moor. “Alles sieht so arrangiert und gepützelt aus, und jedes Ding hat seinen festen Platz – wie bei einer Modelleisenbahn-Anlage.”

Das Land Brandenburg mit seinen flachen und kargen Weiten und der unberührten Natur schien dem Paar wie ein Gegenentwurf zur helvetischen Postkarten-Idylle. “Hier wird nicht lange gelabert und geplant. Die Menschen sind harte Arbeit gewohnt und packen das Leben an”, sagt der Moderator der ARD-Sendung “Titel, Thesen, Temperamente”.

2003 verkauften die Moors ihr Haus in der Nähe von Zürich und zogen mit Sack und Pack, zwei Eseln, Pferd und Enten in den äussersten Nordosten Deutschlands.

Landleben – aber richtig

Über eins waren sich die beiden von Beginn an klar: Sie wollten keine Städter sein, die sich im Umland Berlins ein altes Gehöft sanieren, jeden Morgen in die “City” zur Arbeit pendeln und abends mit gefüllten Einkaufstaschen vom Bio-Supermarkt in die ländliche Idylle heimkehren.

Wenn Landleben, dann richtig. Also sattelte Sonja Moor um. Aus der Filmproduzentin und Geschäftsführerin wurde die gelernte Landwirtin mit Fachgebiet Tierzucht.

Während ihr Mann weiterhin als Kulturjournalist vor der Kamera steht, schlüpft seine Frau frühmorgens in Gummistiefel, mistet den Kuhstall aus und füttert die Schafe. Und ist rundum zufrieden. “Wir machen beide unser Heu. Dieter in den Medien und ich mit meinen Tieren”, sagt die 51-jährige.

Die Moors züchten italienische Wasserbüffel und irische Galloway-Rinder. Das Fleisch in Demeter-Qualität vermarkten sie über einen regionalen Bio-Grossbetrieb und direkt ab Hof.

Auf den weitflächigen Wiesen rund ums Haus weiden mittlerweile 60 Grosstiere und 20 Kälber, dazu kommen rund 50 Schafe. 65 Hektar Weide- und Grasland bewirtschaften Moors in Eigentum, 80 weitere Hektaren sind gepachtet – für brandenburgische Verhältnisse immer noch ein kleiner Betrieb.

“Als wir anfingen, haben uns die anderen Bauern belächelt”, sagt Dieter Moor. “Wir waren die Öko-Romantiker, die sich als Hobby ein paar Kühe halten.” Inzwischen hat sich das Paar weit herum Respekt verschafft, auch wenn es noch ein paar Jahre dauern wird, bis der Betrieb selbst tragend ist. “Wir sind in einer luxuriösen Situation. Dieter hält uns mit seinem Job den Rücken frei, so dass ich in Ruhe Produktion und Vermarktung aufbauen kann”, sagt Sonja Moor.

Langfristig sollen die Moorschen Rindviecher mehr als nur 1A-Fleisch liefern: Ist die Herde genügend gross, werden die robusten und genügsamen Tiere auch zur extensiven Beweidung von Naturschutzgebieten im benachbarten Polen und in Brandenburg eingesetzt. Dahinter steht der Schweizer Verein Pro Natura, mit dem Moors schon länger zusammenarbeiten.

“Im Moment bauen wir die Stammherde auf, um einen Genpool für die beiden seltenen Linien unser Rinder und Büffel zu gründen”, sagt Sonja Moor. Später können Bauern, die Naturschutzgebiete bewirtschaften, für die Beweidung tragende Muttertiere ausleihen, die Nachzucht behalten und sich so vergleichsweise kostengünstig eine eigene Herde aufbauen.

“Knecht und Traktorist” nach Feierabend

Das Leben auf dem Hof und die Arbeit mit den Tieren hätten ihn gelassener gemacht, sagt Dieter Moor. Zwar verbringe er nach wie vor den grössten Teil der Woche mit Dreharbeiten. “Doch ich bin kein Stadtmensch mehr.”

Viel lieber bezeichnet sich der 51-jährige stolz als “Knecht und erster Traktorist”, der nach Feierabend ein paar Runden auf dem Feld pflügt. “Einen Weidepfahl einschlagen, den Stall ausmisten – das sind enorm befriedigende Arbeiten”, sagt Dieter Moor. “Und ein wunderbarer Ausgleich zur schnelllebigen Medienwelt.”

Seine Frau nickt. Natürlich träume kein Mensch von einer 7-Tage-Arbeitswoche, räumt Sonja Moor ein. “Aber in allen früheren Jobs habe ich mir die Sinnfrage gestellt. Jetzt nicht mehr.”

Paola Carega, Berlin, swissinfo.ch

Wenn ein Schweizer mit seiner österreichischen Frau in den Nordosten Deutschlands zieht, um einen Bio-Bauernhof zu bewirtschaften – dann kann einiges schief gehen.

Der Kulturjournalist Dieter Moor hat darüber ein Buch geschrieben.

In “Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht” erzählt Moor vom Leben und Alltag im 230-Seelen-Dörfchen “Amerika”, wie er seine neue Heimat nennt.

“Ich zwangsverschicke mich selber an einen Ort, vor dem mich jeder vernünftige Mensch gewarnt hat: Höchste Arbeitslosigkeit Deutschlands. Dumpfe Ossis. Alkoholiker und Neonazis”, schreibt Moor auf den ersten Seiten.

Doch die Vorurteile und Klischees über den Osten Deutschlands revidiert der gebürtige Zürcher schon bald nach seinem Umzug: Im Vergleich zu vielen Schweizer Landsleuten empfindet er die Menschen in Brandenburg als offen, hilfsbereit und herzlich.

Das Buch entpuppt sich denn auch als eine charmante Liebeserklärung an die Mark Brandenburg.

In ironischem Plauderton schreibt Moor über Begegnungen mit Land und Leuten, erzählt von herzensguten und sturköpfigen Nachbarn, Techno-Beats auf Kuhweiden, Schweizer Traktoren und der Schwierigkeit, Schafsnetze aufzustellen.

Dabei hält er sich auch mit Kritik nicht zurück, denn es gibt Sachen in dem ehemaligen DDR-Dorf, an die sich ein Schweizer wohl nie gewöhnen wird: An Asbest-Betonwellplatten auf Scheunen, den schroffen Umgangston im Dorfladen und die kulinarische Gleichgültigkeit seiner Besitzerin.

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