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Brüssel erteilt Bern gute und schlechte Noten

Trotz Misstönen: Die Schweiz und die EU hätten gute Gründe, ihre Beziehungen zu pflegen, sagen beide Parteien. Keystone

Wie weiter mit unseren Beziehungen zur Schweiz? Zu dieser Frage bereiten die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Brüssel zurzeit ein Papier vor. Es herrscht Misstrauen.

Voraussichtlich im März wissen wir Bescheid: Bis da wollen die EU-Mitgliedstaaten “Schlussfolgerungen” zu den künftigen Beziehungen mit der Schweiz verabschieden. Dabei werden sie Bern ein paar gute und mehrere schlechte Noten erteilen.

Noch ist der Text (vier Seiten, zwölf Paragraphen) vertraulich. Er wird die Doktrin der EU für die kommenden zwei Jahre sein.

Ändern werden die Mitgliedstaaten den Paragraphen zur Unternehmenssteuer, nachdem das Schweizer Stimmvolk vergangenen Sonntag die Unternehmenssteurreform III bachab geschickt hat. Doch auch wenn die Stimmenden mit der Reform einverstanden gewesen wären, hätte sich die EU in ihrem Papier beunruhigt gezeigt: Sorgen bereitet hätte Brüssel die Umsetzung der Reform, angesichts des Spielraums, den die Kantone gehabt hätten, um allfällige Konsequenzen der Reform zu kompensieren.  

Es ist allerdings bei weitem nicht nur die Unternehmenssteuer, die den EU-Mitgliedstaaten Sorgen bereitet: Auch das Gesetz, welches das Schweizer Parlament vergangenen Dezember schliesslich verabschiedete, um die vom Volk vor drei Jahren angenommene Zuwanderungsinitiative umzusetzen, gibt zu reden. Zwar könne das adoptierte Gesetz so umgesetzt werden, dass es mit den im Personenfreizügigkeitsabkommen anerkannten Rechten der EU-Bürger vereinbar sei. Aber nur unter gewissen Bedingungen: So will Brüssel “offene Fragen” geklärt haben, welche die Rechte der Grenzarbeiter und den Zugang der EU-Bürger zum Schweizer Arbeitsmarkt betreffen.

Institutionelle Prioritäten

In den “Schlussfolgerungen” der EU ist zudem zu lesen, dass die Einigung auf ein institutionelles Rahmenabkommen eine “vorausgehende Bedingung” sei, für weitere sogenannte “Sektorenabkommen”. Diese bilden den einzigen Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt der EU, wie die Mitgliedstaaten in dem Papier erinnern.

Dies sei umso wichtiger, als dass die bereits existierenden Abkommen nicht immer einwandfrei funktionierten, heisst es weiter. Es ist die Rede von “Asymmetrien”. Erwähnt werden unter anderem “Einschränkungen bezüglich des Zugangs zum Schweizer Markt”, mit denen insbesondere Lebensmittel- und Dienstleistungshändler aus der EU konfrontiert seien. Auch verlangt Brüssel in dem Papier, dass die Schweiz gewisse von der EU als illegal deklarierte flankierende Massnahmen des Personenfreizügigkeitsabkommens aufhebe.

Doch die EU malt nicht nur schwarz: So findet Brüssel lobende Worte für die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels, für die Kooperation der Schweiz mit der EU im Schengen-Raum und für die Beteiligung Berns an Missionen der EU ausserhalb der Union.

Brüssel wünscht sich aber auch, dass die Schweiz Russland stärker die Stirn bietet. Im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine hatte die EU Sanktionen gegen Moskau verhängt und wünscht sich, dass die Schweiz ihre Politik stärker nach diesen restriktiven Massnahmen ausrichte.

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Blockierte Dossiers

Staatssekretär Jacques de Watteville hat in Brüssel die Blockade bilateraler Dossiers durch die EU kritisiert, die seit dem Ja zur Zuwanderungsinitiative besteht. “Solche Blockaden sind bedauerlich, sie sind weder im Interesse der einen noch der anderen Seite”, sagte der Chefunterhändler der Schweiz mit der EU vor dem aussenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments. Die Verhandlungssperre würde “dem Ansehen der EU und dem Klima der Zusammenarbeit” schaden, sagte der Staatssekretär.

Rund 15 Dossiers habe die EU-Kommission wegen der Kontroverse über die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative blockiert, und diese Blockade werde bis heute fortgeführt, hielt de Watteville fest. “Die Schweiz erwartet von der EU, dass sie die Blockade der Dossiers aufhebt.”

Auf die Kritik an der Dossier-Blockade angesprochen, nahm ein hochrangiger EU-Vertreter gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF Stellung. “Die Mitgliedsstaaten haben uns gebeten, zuerst den institutionellen Rahmen zu klären, bevor wir neue Initiativen ergreifen”, sagte EU-Verhandlungsführer Christian Leffler.

(sda)

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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