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Spionageaktion erschüttert die Schweiz

Industriegebäude
Die Crypto AG wurde 2018 in einen internationalen und einen schweizerischen Teil aufgespaltet. Beide Firmen versichern, nichts mit ausländischen Nachrichtendiensten zu tun zu haben. Keystone / Urs Flueeler

Eine Schweizer Firma steht derzeit im Zentrum einer Spionageaffäre. Laut einer internationalen Recherche mit Beteiligung des Schweizer Radio und Fernsehens SRF hat die Crypto AG im Kanton Zug bis 2018 mit der CIA kooperiert.

Gerüchte, dass Geheimdienste hinter der Zuger Firma Crypto AG stehen, hatte es immer wieder gegeben. Doch jetzt beweisen Dokumente der CIA und des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND: Die beiden Geheimdienste hörten mit manipulierten Chiffriergeräten der Schweizer Firma Crypto AG jahrzehntelang weltweit mit.

Die Dimensionen sind enorm: Über hundert Staaten wurden von CIA und BND abgehört. Hunderttausende Nachrichten zwischen Regierungsstellen, Behörden, Botschaften oder militärischen Stellen wurden systematisch abgefangen.

Knackbare Geräte als sicher verkauft

1970 kauften der westdeutsche BND und die CIA zu gleichen Teilen die Firma Crypto AG – verschleiert über eine Stiftung in Liechtenstein. Bereits vorher bestand eine lose Zusammenarbeit, doch mit dem Kauf der Firma hatten die Geheimdienste nun die totale Kontrolle.

Die Crypto AG war Marktführerin für Chiffriergeräte. Das sind Maschinen, die geheime Kommunikation verschlüsseln sollen, damit sie nicht abgehört wird.

Über Jahrzehnte baute die Firma zwei Formen von Verschlüsselung in die Geräte ein: eine sichere und eine unsichere, also knackbare. Die sichere Ausführung erhielten nur wenige Länder, darunter die Schweiz.

Auf den rund 280 Seiten des Geheimdienst-Dossiers, das der “Rundschau”, dem ZDF und der “Washington Post” zugespielten wurde, wird die sogenannte “Operation Rubikon” als “eine der erfolgreichsten nachrichtendienstlichen Unternehmungen der Nachkriegszeit” bezeichnet.

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Weltpolitik beeinflusst

Die Crypto AG belieferte die ganze Welt, unter anderem Saudi-Arabien, Argentinien und Iran. Die Schweizer Firma galt als neutral – was während des Kalten Kriegs und des Nahost-Konflikts ein wichtiges Verkaufsargument war.

Insbesondere die USA nutzten dies politisch aus: Weil sie die Länder abhören konnten, hatten sie einen enormen Vorteil bei Verhandlungen oder bei der strategischen Kriegsführung.

Die Crypto-Geräte spielten etwa bei den Camp-David-Verhandlungen 1979, bei den Verhandlungen über die amerikanischen Geiseln in Iran 1981 oder bei der US-Invasion in Panama 1989 eine essenzielle Rolle.

Die Dokumente belegen auch erstmals, dass BND und CIA frühzeitig über die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die argentinische Militärjunta informiert waren. Die von Deutschen und Amerikanern an die Briten weitergeleiteten entschlüsselten Funksprüche der argentinischen Marine trugen 1982 entscheidend zum Sieg Grossbritanniens im Falklandkrieg bei.

Schweizer Geheimdienste und Politiker eingeweiht

Aus den vorliegenden Dokumenten geht klar hervor, dass die Schweizer Geheimdienste in die Operation von CIA und BND eingeweiht waren: “Die Bundespolizei (das Schweizer Pendant zum amerikanischen FBI) hat den militärischen Nachrichtendienst kontaktiert. Hohe Beamte der Organisation hatten generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG und trugen dazu bei, diese Beziehung zu schützen.”

Die Recherchen der “Rundschau” bestätigen, dass Mitarbeiter der Schweizer Nachrichtendienste Bescheid wussten. Damals mutmasslich Involvierte wollten dazu aber keine Stellung nehmen oder sie sagen, sie hätten keine Kenntnis von der Operation gehabt. Es gibt auch Hinweise, dass “Schlüsselpersonen in der Regierung” von der “Operation Rubikon” wussten.

Bundesrat sistiert Generalausfuhrbewilligung

Aufgeschreckt durch die Recherchen der “Rundschau” entschied Bundesrat Guy Parmelin Mitte Dezember 2019, die Generalausfuhrbewilligung der Firma Crypto International zu sistieren. Die Sistierung gelte “bis die offenen Fragen geklärt sind”, so das Wirtschaftsdepartement.

Die Schweizer Regierung hat zudem auf die Recherchen reagiert und eine Untersuchung eingeleitet. In seiner Sitzung vom 15. Januar 2020 beschloss der Bundesrat die Einsetzung einer interdepartementalen Arbeitsgruppe zu den Cryptoleaks. Verteidigungs-, Aussen-, Justiz- und Wirtschaftsdepartement sollen den Fall Crypto aufarbeiten. Die Untersuchung soll alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer durchführen.

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